Blitzschnell dank guter Vernetzung

Gehirn trifft eigene Entscheidungen

Täglich trifft unser Gehirn tausende kleiner Entscheidungen, ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst werden. Dabei arbeitet es situationsgerecht und sekundenschnell. Möglich macht dies eine komplexe Vernetzung spezialisierter Assoziationsbereiche.

Das Handy klingelt – offensichtlich ein Anruf des Chefs – in Sekundenschnelle hat Herr M. den Anruf entgegengenommen. Kurz darauf, im Kino, ertönt das Signalton erneut und schon ist das Handy abgeschaltet. Beide Reaktionen vollziehen sich blitzschnell. Den passenden Knopf finden die Finger wie von selbst. Fast könnte von einer instinktiven Reaktion die Rede sein. Jedenfalls hat Herr M. keinen Gedanken an den Vorgang verschwendet. Ganz anders verhält es sich mit seinem Gehirn. Die prompte Entscheidung zwischen Abheben und Abschalten fordert von den „grauen Zellen“ wahre Höchstleistungen.

Mehr als nur ein „entscheidender Punkt“

Welche Vorgänge bei diesen so genannten flexiblen Entscheidungen im Gehirn ablaufen, untersuchte der Tübinger Neurowissenschaftler Markus Siegel vom Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Princeton. Dabei stellten sie fest, dass das Gehirn über mehr als nur eine Entscheidungszentrale verfügt. Die „entscheidenden Punkte“ befinden sich in der Großhirnrinde des Stirn- und Scheitellappens.

Auf die Vernetzung kommt es an

Während der Entscheidungsfindung wandern Entscheidungssignale von den Assoziationsbereichen in die sensorischen und die motorischen Regionen. Erstere erfassen den Klingelton, letztere leiten die Finger zu den passenden Tasten. In die Kommunikation der verschiedenen Regionen schalten sich auch so genannte Kontextsignale ein. Sie melden dem Gehirn, die Rahmenbedingungen – etwa dass Herr M. auf einen Anruf seines Chefs wartet oder sich gerade im Kino befindet. Auf Grundlage dieser Kontextsignale trifft das Gehirn schließlich seine Entscheidung.

Praktischer Nutzen für die Hirnforschung

Forschungsergebnisse dieser Art machen nicht nur die Vorgänge im gesunden Gehirn transparent. Sie verbessern auch das Verständnis für krankhafte Denkvorgänge und Wahrnehmungsprozesse - zum Beispiel im Rahmen einer Schizophrenie. Dadurch eröffnen sie Wege für neue Therapie- und Behandlungsansätze.

Autor*innen

07.07.2015 | Susanne Schmid/ Neurologen und Psychiater im Netz