Manneken Pis statt WC-Schild

Design für Demenzkranke

Pressmaster/Shutterstock
Gutes Design hilft älteren Menschen beim Orientieren.

Die Zimmer im Altersheim sehen alle gleich aus. Das ist nicht gut für die Bewohner. Die Kommunikationsdesignerin Petra Breuer ist davon überzeugt, dass vor allem demente Menschen speziell gestaltete Wohnräume brauchen. Sie ist die erste Designerin in Deutschland, die solche gestaltet. Im Interview mit Stefanie Grutsch erklärt sie, wie sie das macht und was es den alten Menschen bringt.Frau Breuer, Sie setzen sich als erste Designerin mit der visuellen Wahrnehmung von demenzkranken Menschen auseinander. Wie kam es dazu?

Als Designerin gehe ich natürlich immer mit offenen Augen durch die Welt, ich kann gar nicht anders. Und ich frage mich dann oft, ist das gut gestaltet, was würde ich anders machen, usw. Und da ich 13 Jahre lang als Krankenschwester tätig war und danach noch jahrelang beruflich viele Altersheime besucht habe, weiß ich, wie es dort aussieht.

Eines Tages habe ich mir die Frage gestellt, wie würde ich Informationen für Demenzkranke gestalten. Wie müsste das aussehen, damit sie eine Chance haben, visuell etwas aufzunehmen und das auch noch umzusetzen. Ich musste mich dann natürlich mit den alternden Augen auseinandersetzen, mit den Problemen im Gedächtnis, mit den Symptomen der Demenz und erst dann konnte ich das gestalterisch umsetzen.Können Sie damit den dementen Menschen den Alltag erleichtern?

Ich glaube schon. Gutes Design orientiert sich am Menschen und seinen Bedürfnissen. Design für demente Menschen sieht also ganz anders aus, als für einen 20-jährigen Studenten.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein großes Problem für Alzheimer-Patienten ist der Verlust der Orientierung. Wo oder wie finde ich mein Zimmer? Ein fotografiertes Porträt an die Zimmertür zu hängen wird häufig nicht mehr zur Wiedererkennung beitragen, denn viele Betroffene können im schlimmsten Fall nicht einmal mehr ihr eigenes Gesicht erkennen. Wenn man dann visuelle Hilfen gibt wie einen bestimmten Hut oder ein paar Lockenwickler, dann hat der Betroffene weniger Probleme das wiederzuerkennen. Soweit zum Inhalt.

Ja, aber zum »Design« gehört auch die richtige Art der – sagen wir mal – Darstellung: So ein Bild muss dann mit einem guten Kontrast versehen werden, mit festen Linien und unterscheidbaren Farben. Es sollte in der richtigen Höhe hängen, bei gutem Licht, usw. Insofern: Ja, Design kann den Alltag von dementen Menschen und auch den Alltag der Betreuer erleichtern.

Gibt es in diesem Sinne „das richtige“ Design für Demenzpatienten?

Ja und nein. Es gibt ganz grundlegende Dinge, die man wissen muss und beachten sollte: Beispielsweise muss man sich bewusst machen, dass es sich hier in der Regel um Alte handelt, die meistens Sehprobleme haben. Das muss man in der Gestaltung von visuellen Informationen berücksichtigen. Man weiß, dass aufgrund verschiedener Störungen in bestimmten Hirnbereichen Zeichnungen und Bilder aus ungewöhnlichen Perspektiven nicht richtig erkannt werden. Da ist es erfolgversprechender, etwas aus der Frontalperspektive abzubilden.

Thematisch muss aber letztendlich immer auf den Einzelnen eingegangen werden, welche Bilder hat er früher gesehen, wie ist der kulturelle Background, was war wichtig in seinem Leben. Wenn man das dann aber fachlich – also visuell – richtig umsetzen kann, dann ist die Gestaltung für Demenzkranke optimal.Wenn Sie alleine den Wohnbereich eines Altenheimes gestalten könnten - wie sähe der aus?

Wenn es etwa darum geht, einen Treppenbelag auszusuchen, dann würde ich darauf achten, dass die Treppenstufen kontrastreich markiert sind. Welche Wege sollen gegangen werden und wo soll etwas nicht betreten werden? Das kann visuell unterstützt werden, indem ich entsprechende Bodenbeläge wähle.

Ich würde außerdem Bilder ohne Glasrahmen aufhängen, denn Glas reflektiert und blendet. Toiletten bekämen beispielsweise ein Schild, auf dem eine Art »Manneken Pis« zu sehen ist und nicht ein symbolhaftes Strichmännchen. Alles, was Farbe bekommen soll und der Orientierung dient, wäre kräftig und kontrastreich, so dass die alten Leute sich auch bei Dämmerung und schlechtem Licht zurechtfinden.

Ich könnte hier eine lange Liste aufzählen. Auf den Punkt gebracht bedeutet das aber: Alles, was mit den alten Augen gesehen wird und was der Information dient, die beim Demenzpatienten mit seinen speziellen Wahrnehmungsproblemen ankommen soll, lässt sich bedürfnisgerecht gestalten.Werden diese Bedürfnisse der Bewohner in Altersheimen bislang ignoriert?

Das würde ich so nicht sagen. Meistens sitzen viele Fachleute zusammen, um ein solches Projekt zu realisieren. Jeder ist dabei bemüht, die neuesten Erkenntnisse und Erfahrungen mit einzubringen. Was aber bislang fehlt, ist die Fachkompetenz aus dem Bereich des Kommunikationsdesigns. Meines Erachtens müssen unbedingt Kommunikationsdesigner in die Planungsphase mit integriert werden, damit die visuellen und wahrnehmungsbedingten Aspekte entsprechend berücksichtigt werden.Erhoffen Sie sich in dieser Hinsicht eine positive Entwicklung - auch angesichts des demografischen Wandels?Ja, unbedingt! Ich hoffe nicht nur, ich bin davon überzeugt! Wir alle sind gefragt, wenn es um unsere eigene Zukunft geht. Wenn wir morgen, also Sie und ich, eine altersgerechte Zukunft leben wollen, dann müssen wir uns heute mit neuen Perspektiven auseinandersetzen. Wir brauchen neue Ideen, neue Wege, neue Gedanken. Wenn es uns gelingt, die visuelle Informationen so zu optimieren, dass Demenzkranke ein Stück weit länger selbstbestimmt leben können, dann hat das nicht nur einen großen Einfluss auf den Einsatz von Personal und Pflegekräften.

Das wird sich künftig auch auf den Umgang mit den modernen Medien auswirken, die dann, wenn wir beide entsprechend alt sind, ganz anders in unseren Alltag integriert sein werden. Deshalb glaube ich, dass diese Aspekte der visuellen Kommunikation für Senioren mit Demenz sich auf die Optimierung des Umfeldes der Betroffenen gerade in der Zukunft positiv auswirken werden.

Autor*innen

Stefanie Grutsch | zuletzt geändert am um 16:08 Uhr