Wenn Gelenke rebellieren

Chronische Schmerzen

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Unter Rückenschmerzen leiden besonders viele Menschen. Die Ursachen können vielfältig sein.

Chronische Schmerzen gehen oft auf Entzündungen oder Verschleißerscheinungen der Gelenke zurück. Was können Patienten zum Vorbeugen tun und welche Behandlungsmethoden gibt es?

Interview mit Prof. Dr. med. Stefan Rehart, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am AGAPLESION Markus Krankenhaus in Frankfurt. Schwerpunkte: Orthopädische Rheumatologie, Endoprothetik an allen Gelenken, Hand- und Fußchirurgie.

Verschleiß, Bewegungsmangel, Psyche oder erbliche Anlage – wo sind die Ursachen von Gelenkentzündungen und -schmerzen zu suchen?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Einmal abgesehen von möglichen Erbanlagen ist es besonders der heutige Lebensstil, der den Verschleiß an den Gelenken beschleunigt. Mit zunehmendem Alter gibt es prinzipiell mehr Arthrosen, es ist jedoch auch ein Altern mit unauffälligen degenerativen Veränderungen ohne Schmerzen oder Entzündungen möglich. Durch Bewegungsarmut, Übergewicht und Life-Style-Süchte wie Rauchen oder Alkoholgenuss wird der Knorpel aber über Gebühr geschädigt.

Häufig gehen Betroffene erst zum Arzt, wenn die Beschwerden über Wochen andauern und bereits eine Chronifizierung eingesetzt hat. Warum ist ein früher Behandlungsbeginn oft entscheidend?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Es gilt, Bagatellen von ernst zu nehmenden Erkrankungen zu unterscheiden. Wenn Gelenkbeschwerden über zwei bis drei Wochen anhalten, sollte eine orthopädische Abklärung erfolgen. Dann kann nach einer ausführlichen Untersuchung, die von Laborwerten und bildgebenden Kontrollen gestützt wird, eine Diagnose gestellt und eine Therapie eingeleitet werden. In den Anfangsstadien ist diese üblicherweise konservativ, also nicht operativ. Der frühe Arztbesuch ist entscheidend für eine gezielte Therapie, die schnelle Gelenkzerstörungen verhindert, und für den Ausschluss anderer, möglicherweise ernster Erkrankungen.

Gelenkschmerzen gehen häufig mit einer Entzündung einher. Wie kann man dieser entgegenwirken?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Entzündungen bei degenerativen Gelenkerkrankungen kann zum Beispiel mit alten Hausrezepten begegnet werden: Eispackungen, Quarkumschläge, Essigsaure-Tonerde-Verbände, nächtliche Salbenverbände und dergleichen. Auch ein Versuch mit Akupunktur ist denkbar. Physikalische Therapiemaßnahmen wie Krankengymnastik, Stromtherapie und Bandagen können dabei ebenso zum Einsatz kommen wie entzündungslindernde Spritzen in das Gelenk und Medikamente zur Schmerzlinderung. Sogenannte Coxibe hemmen die Entzündung und bewirken nicht nur eine Schmerzreduktion, sondern auch eine Abschwellung und Minderung der Gelenküberwärmung.

Um Schmerzen zu vermeiden, nehmen viele Patienten eine Schonhaltung ein und reduzieren ihre Aktivitäten deutlich. Was bedeutet dies für den Krankheitsverlauf?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Eine solche Entwicklung darf allenfalls kurzfristig akzeptiert werden. Dann sollten konservative Therapieverfahren genutzt werden, um eine Normalisierung der Beweglichkeit zu erreichen. Bleibt nämlich ein Bewegungsdefizit bestehen, können sich die Weichteile um das Gelenk herum so verfestigen, dass aufwendige Operationen erforderlich werden. Die beschriebenen Maßnahmen der physikalischen Therapie in Verbindung mit den entsprechenden Medikamenten bilden die Basis der Behandlung. Reicht das nicht aus, kann gegebenenfalls über minimal-invasive Gelenkspiegelungen, offen operative Verfahren oder den prothetischen Gelenkersatz Hilfe angeboten werden.

Gegen Schmerzen und Entzündungen werden häufig sogenannte NSAR eingesetzt, die jedoch Nebenwirkungen auf dem Magen-Darm-Trakt haben. Gibt es hierzu Alternativen? Und wie unterscheiden sie sich in der Wirkung?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Reine Schmerzmedikamente, die Analgetika, treffen ausschließlich den Schmerz und wirken oft nicht genug gegen die entzündliche Komponente der Arthrose. Aus diesem Grunde nutzen wir gerne die traditionellen, älteren NSAR, in exakter Abstimmung mit dem individuellen Risikoprofil des einzelnen Patienten und in jedem Fall nur über kürzere Zeiträume. Bei Vorerkrankungen im Magen-Darm-Trakt würden wir bevorzugt die modernen, magenschonenderen NSAR, also die sog. COX-2-Hemmer, mit genauso starker Wirkung einsetzen und die Betroffenen regelmäßig überwachen. Der Wechsel von traditionellen auf die modernen NSAR kann sich auch anbieten, wenn die älteren nicht gut genug wirken.

Welche Bedeutung kommt einem kontrollierten Bewegungstraining beim Behandlungserfolg von Gelenk- und Rückenbeschwerden zu?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Die Behandlung sollte immer aus verschiedenen Ansätzen bestehen. Dabei spielt auch Krankengymnastik eine entscheidende Rolle, weil die Behandlung die Weichteile um das erkrankte Gelenk herum mit einbezieht. Bestehende Schwächen von Muskelgruppen können nach einer Funktionsdiagnostik gezielt trainiert, verkrampfte Strukturen zielgenau gedehnt und entspannt werden.

Was raten Sie Patienten, die so starke Rückenschmerzen haben, dass normale Schmerzmittel nicht mehr ausreichen?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Zunächst sollte je nach Diagnose eine aus allen Therapieansätzen bestehende konservative Behandlung erfolgen, inklusive einer Arbeitsplatzanalyse mit Bewertung der erlebten Belastungen. Ergänzend ist eine ambulante schmerzverändernde Therapie mit psychotherapeutischen Komponenten sinnvoll, damit der Alltag wieder gemanagt werden kann. Diese Maßnahmen sollten von einer patientengerechten Medikamenteneinnahme begleitet werden – in erster Linie mit modernen COX-2-Hemmern. Eine stufenweise Intensivierung kann mit weiteren Medikamenten erfolgen, etwa Botenstoff-Wiederaufnahme-Hemmern oder Morphiumderivaten. In einigen Fällen ist eine kurzzeitige stationäre Schmerztherapie sinnvoll.

Die Einnahme starker Schmerzmittel geht häufig mit Müdigkeit und Verdauungsbeschwerden einher. Ist das bei allen Wirkstoffen so, die auf das zentrale Nervensystem wirken? Gibt es hier moderne Alternativen?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Als Patient sollte man unterstützend neben konservativen Behandlungsformen und in Absprache mit dem Arzt eine angepasste Medikation wählen. Diese besteht zum Beispiel in der Einnahme von schmerzlindernden und entzündungshemmenden Mitteln, die eine starke Wirkung mit einem akzeptablen Risikoprofil verbinden und nur einmal täglich genommen werden müssen, wie das bei sogenannten COX-2-Hemmern der Fall ist, oder von modernen, neueren starken Schmerzmitteln, die aufgrund eines speziellen Wirkansatzes weniger Nebenwirkungen im Verdauungstrakt haben können.

Bei welchen Vorerkrankungen ist man beim Einsatz von Schmerzmitteln eingeschränkt? Und welche Alternativen gibt es über die Schulmedizin hinaus?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Bei Erkrankungen, die mit Geschwüren im Dünndarm oder dem Magen einhergehen, bei Herzerkrankungen oder bei Bluthochdruck sind besondere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Hier wird der behandelnde Orthopäde eine individuelle Risikoeinschätzung vornehmen. Nach meiner Ansicht werden in Zukunft auch modernere Opioide, die am Verdauungstrakt geringere Nebenwirkungen aufweisen, zum Einsatz kommen.

Welche Erfolge kann man von einer entzündungshemmenden Ernährung erwarten? Wie müsste diese aussehen?

Prof. Dr. med. Stefan Rehart: Eine Therapie, die erfolgreich eine alleinige entzündungshemmende Ernährung einsetzt, ist nicht bekannt. Prinzipiell kann aber eine ausgewogene, vitaminreiche und fleischarme Kost helfen, Auswirkungen der Arthrose auf die Gelenke abzumildern. Insgesamt kann von extern zugeführten Nahrungsergänzungsmitteln keine sichere Vermeidung einer Arthrose erhofft werden. Vor einer Anwendung sollte eine Beratung durch den Orthopäden erfolgen.

Autor*innen

S. Göbel/Deutsche Journalistendienste | zuletzt geändert am um 15:25 Uhr


Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel ist nach wissenschaftlichen Standards verfasst und von Mediziner*innen geprüft worden. Die in diesem Artikel kommunizierten Informationen können auf keinen Fall die professionelle Beratung in Ihrer Apotheke ersetzen. Der Inhalt kann und darf nicht verwendet werden, um selbständig Diagnosen zu stellen oder mit einer Therapie zu beginnen.