Medizinlexikon
Säftelehre (Humoralpathologie, Viersäftelehre)
Im Mittelalter verbreitete Auffassung, der Säftehaushalt des Körpers sei Ursache von Gesundheit und Krankheiten. Unter den Körpersäften verstand man in diesem Fall Blut, Schleim, schwarze und weiße Galle. Jedem Körpersaft wurden charakteristische Qualitäten wie heiß oder kalt bzw. trocken oder nass zugeschrieben. Außerdem wurden die vier Körpersäfte auch mit den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde verknüpft und vier grundlegenden Charakteren (Temperamenten) zugeordnet. Krankheiten entstehen der Säftelehre zufolge durch ein Ungleichgewicht der Säfte. Die Balance zwischen den Säften soll durch ausleitende und ableitende Heilverfahren wieder hergestellt werden. Ausleitende Therapien wie Aderlässe, Klistiere, Abführmittel und Brechmittel sollten die Ausscheidung bestimmter Körpersäfte und Schlacken steigern. Ableitende Verfahren wie die Kneippkur hingegen sollen Entzündungsstoffe, Blut, Schlacken und Energie an die Hautoberfläche abtransportieren bzw. im Körper umverteilen.
Obwohl die Säftelehre wissenschaftlich schon seit Paracelsus (16. Jahrhundert) als überkommen galt, nimmt sie wissenschaftsgeschichtlich eine wichtige Stellung ein. Sie war zum einen der erste nachhaltige Versuch, die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen systematisch zu erfassen, anstatt sie als gottgegeben hinzunehmen. Zum anderen bremste sie auch den medizinischen Fortschritt, da es lange dauerte, dieses logisch in sich geschlossene System zu überwinden.
Auch heute berufen sich naturheilkundliche Verfahren noch auf Teile der Säftelehre. Viele ausleitende Therapien wie der Aderlass, das blutige Schröpfen und die Baunscheidt-Therapie werden immer noch eingesetzt, wenn auch mit anderen Zielsetzungen.