Wer den Frühling im Kopf spüren möchte, muss bereits im Winter daran arbeiten. Nur wer auch im Winter aktiv ist, kann die so genannten Frühlingsgefühle entwickeln. Das meldet die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Universität (MedUni) Wien.
Gute Stimmung braucht keine Wärme
Für den Menschen ist es schwer, positive Gefühle zu Frühlingsbeginn zu entwickeln. Denn die Menschen begeben sich im Winter meist in eine dunkle, warme Umgebung – eine ungünstige Kombination. „Wer im Dunkeln hockt und es schön warm hat, der wird im Frühling nur schwer in Schwung kommen“, meint Siegfried Kasper, Leiter der psychiatrischen Abteilung der MedUni Wien. Daher empfiehlt der Experte auch im Winter: „Raus an die frische Luft – vor allem bei strahlendem Sonnenschein.“ Denn Licht spielt bei der Vorbereitung auf den Frühling eine wichtige Rolle.
Und nicht nur dabei. Die Netzhaut des menschlichen Auges – Retina – ist ein vorgelagerter Teil des Gehirns. Sie nimmt das Licht auf und leitet es über den Sehnerv direkt in den Hypothalamus, das wohl wichtigste Steuerzentrum des vegetativen Nervensystems. Dort aktiviert es Botenstoffe – wie das Serotonin – die neben Wachsein und Müdigkeit auch weitere Funktionen wie Temperatur, Libido, Appetit, Magen-Darm-Aktivität, Zuckerhaushalt und Wachstum regeln. Dabei spielt übrigens die Temperatur eine untergeordnete Rolle. Auch kalt und sonnig ist gut fürs Gemüt, so Kasper. „Manche Menschen entwickeln im Winter Hochgefühle, wenn sie nur ein sonnenüberflutetes Schneefeld sehen.“ Der Stimmungseffekt erfolgt allein über das Auge.
Mehr Suizide in sonnigen Monaten
Bei Menschen, die depressiv sind, funktioniert dieser Effekt nicht so gut. Ganz im Gegenteil: „Der Betroffene kann den glücklichen Menschen nicht gleichtun und wird noch anfälliger für Selbstmordgedanken. Der gesunde Mensch dagegen sagt sich ‚jetzt kommt Licht, jetzt fahre ich mein System hoch‘.“ Dazu sind Depressive nicht in der Lage. Der Antrieb steigt zwar, aber die Stimmung kann dem Antrieb nicht folgen. Kasper: „Das ist ein bekanntes Paradoxon: Der Depressive fragt sich, warum es ihm im Frühjahr noch schlechter geht.“
Eine Studie der MedUni Wien zeigt, dass die Suizidrate in den sonnigen Monaten März bis Mai höher liegt als zwischen November und Januar. Das liege vor allem daran, dass sich die Batterien bei depressiven, inaktiven Personen über den Winter entleert haben, diese also antriebslos in den Frühling starten. „Wenn die Batterien aber einmal leer sind, dann kann der Mensch sein System nicht mehr hochfahren“, erklärt Kasper.