Lernen, füreinander da zu sein: Krebs in der Familie
„Krebs“ – mit diesen fünf Buchstaben bricht nicht selten auch für die Angehörigen eines
Krebskranken erst mal die Welt zusammen. 1 000 Gedanken schwirren gleichzeitig durch den Kopf, von „Wie kann ich
konkret helfen?“ bis „Wie ist das jemals alles zu schaffen?“.
Sie als Angehöriger können dem Patienten zwar seine existenzielle Bedrohung nicht abnehmen, sind
aber trotzdem eine seiner wichtigsten Stützen dabei, sich der neuen Lebenssituation zu stellen:
- Am allerwichtigsten ist es, überhaupt da zu sein und zu bleiben. Auch wenn die Angst lähmen
kann, irgendetwas Falsches zu sagen oder falsch zu machen: Bleiben Sie präsent und wenn Sie sich unsicher
fühlen, teilen Sie dies mit Ihrem Angehörigen, sagen Sie ihm ruhig, dass es für Sie schwer ist, die
richtigen Worte zu finden, ihm zu helfen und Ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Das ist nicht selten der
Beginn eines offenen Gesprächs über die Erkrankung und die damit verbundenen Ängste sowie der erste Schritt
nicht nur zur Bewältigung der Krise Krebs, sondern auch zu einer neuen Stufe der Vertrautheit in der Familie
oder Partnerschaft.
- Viele Betroffene belasten selbst z.B. während sehr anstrengender Behandlungen nicht so sehr
die Probleme der Gegenwart, sondern elementare Ängste: die Angst vor dem, was noch kommt, die Angst vor
Schmerzen, die Angst, nicht mehr selbstbestimmt leben zu können, sondern den Entscheidungen anderer
ausgeliefert zu sein. Die emotionale Sicherheit, dass Sie, egal was kommt, zu ihm stehen und im Fall eines
ungünstigen Verlaufs seine Interessen so vertreten, wie er selbst es tun würde, ist für den Kranken von
unschätzbarem Wert.
- Unterstützung heißt dabei nicht immer, den Betroffenen von allen Alltagsproblemen
fernzuhalten. Je nach Zustand des Kranken, seiner Persönlichkeit und der gesamten familiären Situation
können Sie den Kranken ruhig bei Problemen fragen, was er dazu meint – das bedeutet eben auch, dass man ihn
zu Hause vermisst.
Mitbetroffen bedeutet auch, selbst belastet zu sein: Die Auseinandersetzung mit dem Kranken und
mit der eigenen Einstellung zu Krankheit und Tod, die Besuche im Krankenhaus oder die unzähligen Handreichungen
zu Hause und die Übernahme von Pflichten gehen auch an den Angehörigen nicht spurlos vorüber. Mögliche
aggressive Äußerungen des Patienten beispielsweise tun weh, auch wenn man weiß, dass sie eigentlich nicht
persönlich gemeint, sondern Ausdruck des Haderns mit dem eigenen Schicksal sind.
Oft werden von der Umwelt unzählige Erwartungen an die Angehörigen herangetragen, kaum einer fragt
sich aber, wie das denn überhaupt zu bewerkstelligen sei. In Familien werden zusätzlich die Kinder aus der Bahn
geworfen, bei älteren Leuten hat der gesunde Partner oft mit Problemen im Alltag zu kämpfen. Und das in aller
Regel nicht über Wochen, sondern zumindest Monate, bei einigen Erkrankungen auch bei günstigem Verlauf über mehr
als ein Jahr. Um das durchzuhalten, müssen Sie als Angehöriger auch auf sich selbst achten. Versuchen Sie z.B.,
weniger wichtige Arbeiten zu delegieren, oder schaffen Sie sich alle ein oder zwei Wochen einige Stunden
Freiraum und machen Sie dann ohne schlechtes Gewissen das, wozu Sie Lust haben. Denn wenn Sie schlapp machen,
nützt das keinem.
Aufrichtigkeit im Umgang und gegenseitiges Füreinander-da-Sein (jeder nach seinen Fähigkeiten)
entlasten sowohl den Patienten als auch die Angehörigen und sind wahrscheinlich der beste Ratschlag, den man
geben kann. Bei günstigem Krankheitsverlauf profitieren alle Beteiligten von einer Intensivierung der Beziehung.
Bei ungünstigem Verlauf ist eine ehrliche Begleitung eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein
selbstbestimmtes Leben bis zum Schluss.