Juristische Grundlagen für den Schadensersatz

Jeder behandelnde Arzt haftet dem Patienten gegenüber für Fehler bei seiner Behandlung. Der Anspruch auf Schadensersatz verjährt drei Jahre nach dem Zeitpunkt, an dem der Patient Kenntnis vom Gesundheitsschaden und dem Verursacher erlangt. Der Anspruch ist übertragbar und vererblich. Der Schadensersatzanspruch richtet sich sowohl auf den Ersatz des materiellen Schadens (Vermögensschaden), als auch des immateriellen Schadens (Schmerzensgeld).

Vermögensschaden. Als Vermögensschadensausgleich muss der Geldbetrag bezahlt werden, der zur Behandlung des Gesundheitsschadens erforderlich ist. Der Anspruch geht dabei auf den Sozialversicherungsträger oder auf die private Krankenversicherung über, soweit diese die Heilbehandlung bezahlen. Führt die Gesundheitsschädigung zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit(MdE) oder ergibt sich aus dem Gesundheitsschaden eine Erhöhung des Bedarfs für die Lebenshaltung, so hat der Verletzte gemäß § 843 BGB einen Anspruch auf eine angemessene Rente. Unterhaltsansprüche gegen Eltern oder geschiedene Ehepartner schließen diesen Anspruch nicht aus. Dies ist in der Praxis vor allem dann wichtig, wenn z. B. eine Hausfrau geschädigt wurde, die nicht berufstätig ist, aber ihren Unterhaltsbeitrag durch Haushaltsführung erbringt. Der Anspruch beinhaltet dann die Kosten für eine Ersatzkraft.

Schmerzensgeld. Für den immateriellen Schaden, für das Leiden und den möglicherweise auf Dauer bestehenden Verlust an Lebensqualität kann ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt werden.

Führt die Gesundheitsschädigung zum Tod, haben die Unterhaltsberechtigten des Getöteten gemäß § 844 BGB einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Verursacher in Höhe des entgangenen Unterhalts, der dann in Form einer Rente geleistet werden muss.

Voraussetzungen für einen Schadensersatz

Die Haftungsvoraussetzungen für den Schadensersatzanspruch und dessen Rechtsfolgen ergeben sich aus dem mündlich oder schriftlich geschlossenen Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient und aus der in § 823 BGB geregelten deliktischen Haftung, die daran anknüpft, dass grundsätzlich jeder Eingriff in die körperliche Integrität eines Menschen mindestens eine fahrlässige Körperverletzung darstellt.

Ausgangspunkt des Anspruchs gegen den behandelnden Arzt ist das Entstehen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung oder der Tod eines Patienten. Da der Arzt aber keinen Heilerfolg schuldet, es liegt nämlich ein Behandlungsvertrag vor, nicht aber ein Werkvertrag wie z. B. mit einem Handwerker, ergibt sich aus dem Ausbleiben des Heilerfolgs allein nicht schon ein Versagen des Arztes. Es liegt vielmehr nur dann ein Schadensersatzanspruch vor, wenn eine körperliche Beeinträchtigung des Patienten durch ein berufliches Fehlverhalten des Arztes verursacht wurde. Es muss ein Kunstfehler, also ein Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht, vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn der Arzt bei seiner Tätigkeit vom jeweils objektiv feststellbaren, gültigen „medizinischen Standard“ abweicht, da er dann die von ihm geforderte Sorgfalt außer Acht lässt und damit fahrlässig handelt. Der medizinische Standard beschreibt, was auf dem betreffenden Fachgebiet dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht und in der medizinischen Praxis zur Behandlung der jeweiligen gesundheitlichen Störung anerkannt ist. Vom Arzt wird rechtlich gefordert, dass er diejenigen Maßnahmen ergreift, die von einem gewissenhaften, aufmerksamen Arzt nach dem Standard seines Fachgebiets erwartet werden dürfen In jedem gerichtlichen Verfahren muss dies als Maßstab der Rechtssprechung festgestellt werden, damit im jeweiligen Einzelfall entschieden werden kann, ob ein haftungsbegründender Kunstfehler des Arztes vorliegt oder nicht.

Beim haftungsbegründenden Kunstfehler werden drei Arten unterschieden:

  • Aufklärungsfehler
  • Behandlungsfehler
  • Organisationsfehler bei Behandlungen in einer Klinik.

Aufklärungsfehler

Ein Aufklärungsfehler liegt dann vor, wenn der Arzt dem Patienten nicht rechtzeitig oder in nicht ausreichender und für diesen verständlicher Weise eine Therapie oder einen geplanten operativen Eingriff erläutert. Über die Therapie, deren Risiken und Folgen muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung ausreichend, also wiederum individuell verständlich, aufklären. Dazu ist auch eine entsprechende Frist zu wahren; außer bei Notfall-Eingriffen beträgt diese in der Regel mindestens einen Tag vor dem Eingriff.

Wird nachträglich festgestellt, dass der Arzt dem Patienten durch fehlerhaftes ärztliches Handeln einen Schaden zugefügt hat, muss der Arzt beweisen, dass es zu dem Eingriff auch bei zutreffender Aufklärung des Patienten gekommen wäre. Dieser Nachweis ist aber nur schwer zu erbringen.

Worüber der Arzt aufklären muss

Die Aufklärung muss sich außer auf die geplante Behandlung auch auf alle dem medizinischen Standard entsprechenden Behandlungsalternativen erstrecken. Zudem muss der Arzt die gesundheitlichen Konsequenzen der Therapie und ihrer Unterlassung darstellen. Dies ist im Selbstbestimmungsrecht des Patienten begründet, der in die Lage versetzt werden soll, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Unterlässt der Arzt diese Aufklärung, so muss er im Schadensfall beweisen, dass die mögliche Alternativbehandlung nicht zu einem besseren Behandlungsergebnis geführt hätte. Wenn der Arzt eine „Neulandmethode“ vorschlägt, muss er den Patienten durch die Darstellung der Vor- und Nachteile darüber aufklären, dass es sich um eine neue Methode handelt, die noch nicht lange praktiziert wird, und dass es daneben noch das herkömmliche Verfahren gibt und nur dieses dem medizinischen Standard entspricht.

Eine gesteigerte Aufklärungspflicht hat der Arzt auch bei möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen eines Medikaments; der alleinige Hinweis auf den Beipackzettel reicht nicht aus.

Wenn der Patient behauptet, dass ein Aufklärungsfehler vorliegt, muss der Arzt beweisen, dass er umfassend aufgeklärt hat. Die erfolgte Aufklärung muss also vom Arzt immer sorgfältig dokumentiert sein.

Die Besonderheit des Aufklärungsfehlers besteht darin, dass der Arzt auch dann auf Schadensersatz haftet, wenn die Behandlung ordnungsgemäß war, aber beispielsweise bei einer Alternativbehandlung die gesundheitlichen Beeinträchtigungen geringer gewesen wären. Bei der Anwendung einer „Außenseitermethode“ muss er daher ausdrücklich auf den wissenschaftlich ungeprüften Charakter der geplanten oder empfohlenen Behandlung sowie auf die Alternativen hinweisen.

Die Aufklärung hat sich auch auf wirtschaftliche Aspekte zu erstrecken, z. B. wenn der Arzt weiß oder wissen muss, dass die Kosten der vorgeschlagenen Therapie von der gesetzlichen oder privaten Krankenkasse nicht oder nur teilweise übernommen werden. Bei Unterlassung dieser Aufklärung hat der Patient einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt in Höhe der von den Krankenkassen nicht getragenen Kosten.

Eine nicht ausreichende Aufklärung hat aber rechtlich auch zur Folge, dass die auf dieser Information beruhende Einwilligung des Patienten unwirksam ist. Damit ist die Behandlung von vornherein nicht gerechtfertigt, und der Eingriff oder auch jede andere Behandlung stellt eine Körperverletzung dar. Der Arzt macht sich damit der fahrlässigen Körperverletzung oder sogar der fahrlässigen Tötung schuldig.

Behandlungsfehler

Behandlungsfehler umfassen für den Juristen nicht nur Therapiefehler, z. B. wenn ein Patient ein Medikament in zehnfacher Dosierung erhalten hat, sondern auch Übernahme- und Diagnosefehler.

Übernahmefehler. Ein Behandlungsfehler ist dann gegeben, wenn ein Arzt eine Behandlung durchführt, für die er fachlich nicht hinreichend kompetent ist, da sie zu einem anderen Fachgebiet gehört, oder für die er nicht über die ausreichenden Einrichtungen oder Geräte verfügt. In diesem Fall handelt es sich um einen Übernahmefehler(Übernahmeverschulden).

Ein haftungsbegründender Übernahmefehler liegt auch dann vor, wenn ein Chefarzt dem Patienten die persönliche Durchführung einer Operation zusagt, diese dann aber von einem noch nicht hinreichend erfahrenen Assistenzarzt ohne Aufsicht durch einen Facharzt durchführen lässt.

Behandlungsfehler betreffen selbstverständlich nicht nur Ärzte, sondern alle Heilberufe. Abgesehen von Notfällen ist die Leitung einer Risikogeburt durch eine Hebamme ohne Hinzuziehung eines Frauenarztes z. B. ein Behandlungsfehler.

Diagnosefehler. Die juristische Feststellung eines Diagnosefehlers als Unterfall der Behandlungsfehler setzt zwar eine Fehldiagnose voraus, eine solche ist aber allein nicht ausreichend, um bereits einen Fehler des Arztes anzunehmen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Arzt aus den ihm vorliegenden Befunden unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Beurteilungsrahmens die Erkrankung hätte erkennen müssen. Andererseits muss der Arzt bei nicht eindeutigen Symptomen weitere Befunde zur zuverlässigen Klärung des Krankheitsbilds erheben. Unterlässt er die weitere Differenzierung, so stellt dies einen schweren Diagnosefehler dar.

Ein besonderer Fall eines Diagnosefehlers ist das Nichterkennen einer Rötelnerkrankung bei einer Schwangeren, die fast zwangsläufig zu schweren Behinderungen des Kindes führt. Die Rechtsprechung hat hier betroffenen Eltern einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt für den Unterhalt eines schwerstbehinderten Kindes zugebilligt. Einen Anspruch des Kindes, das ohne den Diagnosefehler nicht geboren worden wäre, hat die Rechtsprechung bisher aber nicht anerkannt. Hier geht es um die Problematik des wrongful life, die nach wie vor heftig umstritten und bisher ungelöst ist

Therapiefehler. Die meisten Verfahren wegen ärztlicher Behandlungsfehler werden angestrengt, weil bei der Behandlung gegen den medizinischen Standard verstoßen wurde (Therapiefehler). Dabei ist nicht nur aktives Tun haftungsbegründend, sondern auch das Unterlassen oder auch bereits die Verzögerung der Behandlung bei diagnostizierter Behandlungsbedürftigkeit.

Der Fehler kann z. B. darin liegen, dass ein Eingriff ohne hinreichende Indikation vorgenommen wurde. Ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff stellt einen Therapiefehler dar. Wenn mehrere Behandlungsmethoden oder -techniken in Betracht kommen, muss der Arzt grundsätzlich die für den Patienten sicherste wählen.

Allgemein lässt sich sagen, dass der behandelnde Arzt den medizinischen Standard verletzt, wenn er an einer Diagnostik oder einer Therapiemethode festhält, obwohl es bessere Möglichkeiten gibt, die mit weniger Risiken für den Patienten verbunden und in der medizinischen Wissenschaft anerkannt sind.

Organisationsfehler

Organisationsfehler treten überwiegend im Krankenhaus auf. Statistisch gesehen sind Krankenhäuser gefahrvolle Orte. Hier drohen nicht nur Infektionen durch Keime von Mitpatienten und Behandlungsfehler, sondern das außerordentlich arbeitsteilige Unternehmen Krankenhaus neigt auch zu Informations- und Kommunikationsmängeln. Die Organisation des Krankenhauses muss deshalb so gestaltet sein, dass trotz der fehleranfälligen Struktur der Patient nicht der Leidtragende ist.

Die Rechtssprechung verlangt:

  • Die Gewährleistung der ärztlichen Versorgung nach den jeweiligen Vorgaben des medizinischen Standards
  • Die Behandlung durch einen erfahrenen Facharzt
  • Ein hohes Leistungsniveau, auch im Pflegebereich
  • Sichere Wege zu und in allen Räumen ohne Rutschgefahr oder Stolperkanten.

Ein Druckgeschwür (Dekubitus) bei einem Schwerstkranken lässt beispielsweise auf Pflege- und Lagerungsmängel schließen. Auch das „Vergessen“ einer nach dem medizinischen Standard erforderlichen Kontrolluntersuchung nach einer Vollnarkose, weil der zuständige Arzt zu einem Notfall gerufen wurde und danach Dienstschluss hatte, stellt einen Organisationsfehler dar.

Der Anspruch des betroffenen Patienten richtet sich bei einem Organisationsfehler gegen die Klinik oder deren Träger, weil sie für alle ihre Mitarbeiter haftet.

Weiterlesen:

Autor*innen

PD. Dr. iur. Peter Merk, Dr. med. Herbert Renz-Polster, Dr. med. Arne Schäffler | zuletzt geändert am um 12:14 Uhr