Anamnese und klinische Untersuchung in der Orthopädie

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Über gezielte Tests erhält die Orthopäd*in wichtige Informationen für die Diagnose.

Anamnese und klinische Untersuchung

Bei vielen Verletzungen und Erkrankungen sind keine besonders aufwendigen Untersuchungsmethoden erforderlich, um die richtige Diagnose zu stellen. Als ersten und oft wichtigsten diagnostischen Schritt erfragt der Arzt den Unfallhergang oder den bisherigen Verlauf der Erkrankung (Anamnese). Bestimmte Unfallmechanismen und Formen von Gewalteinwirkung führen oft zu typischen Verletzungen, bestimmte Sportarten zu speziellen Sportschäden, die ihre Ursache manchmal schon durch Namen wie Golferellenbogen oder Skidaumen verraten. Bei orthopädischen Erkrankungen fragt der Arzt, wo und wann die Beschwerden am heftigsten auftreten, ob sie sich durch bestimmte Bewegungen und Belastungen auslösen oder verstärken lassen. Degenerative Erkrankungen, z. B. eine Arthrose, äußern sich typischerweise durch Schmerzen zu Beginn einer Aktivität (Anlaufschmerz) sowie nach längerer Belastung (Belastungsschmerz), entzündliche Erkrankungen wie eine Arthritis eher durch einen Ruheschmerz, der sich oft sogar durch Bewegung bessert. Gelegentlich spielen auch Beschwerden und Erkrankungen außerhalb des Bewegungsapparats eine wichtige Rolle für die Diagnostik orthopädischer Probleme. So lassen sich z. B. Fußbeschwerden manchmal auf Diabetes zurückführen.

Eine sofortige Blickdiagnose ist dann möglich, wenn der Arzt sichere Zeichen eines Knochenbruchs sieht. Entscheidende diagnostische Hinweise gibt oft die Beobachtung von Körperhaltung und Bewegungsabläufen in Form einer Ganganalyse bei Bein- oder Rückenbeschwerden. Der Finger-Boden-Abstand beim Bücken ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Beweglichkeit, bezogen auf die Wirbelsäule, messen und damit objektivieren lässt. Durch neurologische Untersuchungen, z. B. durch die Prüfung der Muskeleigenreflexe oder der Berührungsempfindung, fahndet der Arzt nach neurologischen Erkrankungen, die orthopädische Störungen auslösen, begleiten oder vortäuschen können. Das Abtasten und Durchbewegen schmerzhafter Körperteile, die Suche nach speziellen Schmerzpunkten und verschiedene Funktionstests komplettieren die orthopädisch-unfallchirurgische Basisuntersuchung.

Bei einem Funktionstest führt der Arzt eine standardisierte Untersuchung durch, um gezielt die Funktion bestimmter Muskeln oder Muskelgruppen, Sehnen oder Gelenke zu prüfen. Die Tests helfen, eine zunächst diffuse, schmerzhafte Bewegungseinschränkung einzugrenzen und die verletzte oder erkrankte Struktur zu erkennen. Oft versucht der Arzt, typische Schmerzen zu provozieren, indem er die (vermutlich) betroffene Struktur gezielt beansprucht. Ein typisches Beispiel ist der Palm-up-Test (Handfläche hoch): Dabei wird der Untersuchte aufgefordert, seinen horizontal ausgestreckten Arm mit oben liegender Handfläche schräg nach vorne zu halten und nicht nachzugeben, während der Untersucher den Arm Richtung Boden drückt. Eine einseitige Kraftminderung sowie Schmerzen an der Schultervorderseite sprechen für eine Erkrankung der langen Bizepssehne.

Die Gelenkspiegelung ist das Verfahren der Wahl zur weitergehenden Diagnostik und operativen Behandlung von Erkrankungen des Schultergelenks. Die abgebildeten, arthroskopischen Bilder zeigen einen normalen Befund; zur Orientierung sind die dargestellten Strukturen auf den Schemazeichnungen markiert.
Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Gelenkspiegelung. Manche Gelenkverletzungen und -erkrankungen erlauben eine sichere Diagnose nur mithilfe einer Gelenkspiegelung (Arthroskopie), einer speziellen Form der Endoskopie. Dabei führt der Arzt über einen kleinen Schnitt einen schmalen hohlen Stab (Arthroskop) ein, der mit einem optischen System von Linsen, einer Lichtquelle und meist einer Spül- und Absaugvorrichtung ausgestattet ist. Die Optik ist über eine Kamera mit einem Monitor verbunden. Außerdem besitzen manche Arthroskope Arbeitskanäle, durch die der Arzt chirurgische Instrumente im Miniaturformat (z. B. Scheren, Haken, Fräsen) einschieben kann, die sich von außen präzise steuern lassen. Dieses Verfahren ermöglicht es nicht nur, direkt in das Gelenk hineinzuschauen, sondern auch gleichzeitig eine minimal-invasive Operation durchzuführen. Gegenüber offenen chirurgischen Verfahren hat diese Methode verschiedene Vorteile: eine geringere Belastung des Organismus, weniger Schmerzen und kürzere Heilungsdauer.

Die Arthroskopie dient v. a. der Untersuchung von Verletzungen im Knie-, Schulter-, Hand- und Sprunggelenk, aber auch zur Beurteilung und Therapie entzündlicher oder verschleißbedingter Gelenkerkrankungen und unklarer Gelenkbeschwerden. Typische Einsatzgebiete am Knie sind z. B. die Naht von Meniskusverletzungen, der Ersatz gerissener Kreuzbänder durch Transplantate, die Entfernung von Gelenkmäusen, z. B. bei Osteochondrosis dissecans, und das Ausschälen entzündeter Gelenkinnenhaut (Synovektomie) bei schwerer rheumatischer Arthritis.

Laboruntersuchungen

Laboruntersuchungen spielen in der Orthopädie eine untergeordnete Rolle. Bei unklaren Gelenkentzündungen untersucht der Arzt das Blut auf Entzündungswerte (Rheumafaktoren), spezielle Antikörper oder den Harnsäurespiegel (Verdacht auf Gicht). Auch Gelenkflüssigkeit, mittels einer Spritze im Rahmen einer Gelenkpunktion entnommen, eignet sich zur Untersuchung im Labor. Dabei interessiert den Arzt insbesondere der Gehalt an Zellen, Kristallen oder Bakterien.

Autor*innen

Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski | zuletzt geändert am um 10:44 Uhr