Vergesslichkeit, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen

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Schon wieder einen Termin verschwitzt oder den Schlüssel verlegt? Vielleicht ist Stress die Ursache.

Vergessen ist nicht per se etwas Schlechtes. Das Löschen von Informationen ist schon deswegen sinnvoll, weil es Platz für Neues schafft. Das Abspeichern neuer Erinnerungen verläuft dann in mehreren Schritten. Aus der ständigen Flut von Reizen filtert das Gehirn zunächst die interessantesten heraus und speist sie ins Kurzzeitgedächtnis. Durch Wiederholung, bewusstes Lernen oder emotionale Verknüpfungen gelangt die Information ins Langzeitgedächtnis und bleibt dort für Stunden bis Jahrzehnte abrufbar.

Sowohl Kurz- als auch Langzeitgedächtnis können aber aus unterschiedlichen Gründen nachlassen – entweder vorübergehend oder für immer. Bei der Demenz etwa ist zunächst vor allem das Kurzzeitgedächtnis betroffen, während Erinnerungen an lang vergangenes noch klar sind. Aber Achtung: Nicht jede Vergesslichkeit im Alter ist automatisch eine Demenz. So lassen Erinnerungsvermögen und Konzentrationsfähigkeiten bei alten Menschen oft aus ganz einfachen Gründen nach, z. B. wenn sie zu wenig trinken oder ihre geistigen Fähigkeiten beim Eintritt in die Rente nicht mehr trainieren. Auch eine schlechte Durchblutung aufgrund einer Arterienverkalkung führt zu Vergesslichkeit.

Was viele nicht wissen: Manchmal steckt eine psychische Erkrankung hinter einer nachlassenden Gedächtnisleistung. Depressiv Erkrankte etwa können sich schlecht konzentrieren, manche Gedankengänge sind regelrecht blockiert, auch das Gedächtnis lässt nach. Gerade bei alten Mitmenschen verläuft eine Depression häufig verdeckt und wird übersehen, weil man denkt: "Opa wird eben alt".

Richtige Erinnerungslücken treten auf bei der Amnesie. Betroffene haben dann z. B. nach einem Sturz auf den Kopf oder einem traumatischen Ereignis keine Erinnerung mehr an Geschehenes. In einigen Fällen kehrt die Erinnerung aber nach einiger Zeit wieder zurück.

Der häufig gebrauchte Ausdruck Vergesslichkeit kann sich auf jede Art von Gedächtnisstörung beziehen, meint aber meist kleine Erinnerungslücken im Alltag. Gelegentlich etwas zu verlegen, nach einem Namen zu suchen oder einen Termin zu verschwitzen, gehört in den Bereich "normaler" Vergesslichkeit. Sie nimmt zu bei Stress, Übermüdung und starken Emotionen (Trauer, Verliebtheit).

Beschwerdebilder, ihre Ursachen, Maßnahmen und Selbsthilfe

Gelegentliche Vergesslichkeit und/oder Konzentrationsstörungen mit Schlafmangel, Überforderung, psychischer Belastung, starken Emotionen

Ursache:

Maßnahme:

  • In den nächsten Wochen zur Hausärzt*in oder zur Psychotherapeut*in, wenn die Beschwerden nicht innerhalb eines Monats abklingen

Selbsthilfe:

  • Entspannungsverfahren, ausreichend Schlaf
  • Regelmäßige Bewegung
  • "Tapetenwechsel", z. B. Urlaub

Wiederholtes Vergessen unangenehmer Aufgaben

Ursache:

  • Verdrängung als normale Schutzreaktion

Selbsthilfe:

  • Erinnerungsnotizen können helfen, den "inneren Schweinehund" zu überwinden

Verfälschte, lückenhafte oder fehlende Erinnerung (Black out) an einzelne belastende Ereignisse; oft nach Katastrophen, Unfällen, Operationen; meist keine weiteren Gedächtnisstörungen

Ursachen:

Maßnahme:

  • In den nächsten Tagen zur Hausärzt*in oder Psychotherapeut*in, wenn Beschwerden wie Angst, Unruhe oder körperliche Symptome auftreten

Fehlende Erinnerung an plötzliches, grundloses Weglaufen oder Verreisen

Ursache:

  • Dissoziative Fugue (ein scheinbar unmotiviertes und anschließend nicht mehr erinnerbares Weglaufen oder Verreisen von mehreren Stunden bis Monaten mit dem Annehmen einer neuen Identität; das Krankheitsbild gehört zu den dissoziativen Störungen)

Maßnahme:

  • In den nächsten Tagen zur Hausärzt*in oder Psychotherapeut*in

Akute Gedächtnisstörung mit Verwirrtheit und Desorientierung; ängstliche Unruhe oder Erregung; evtl. Halluzinationen (z. B. Sehen kleiner Tiere) oder Wahnvorstellungen; evtl. Bewusstseinsstörung; evtl. Schwitzen, Zittern; evtl. Fieber

Ursache:

Akute organische Psychose und Delir, z. B. bei

Maßnahme:

  • Sofort zur Hausärzt*in, Psychotherapeut*in oder in die nächste Klinik

Akute Gedächtnis-, oft auch Bewusstseinsstörung; oft Kopfschmerzen; evtl. Sprach- oder Sehstörungen; evtl. Lähmungen; evtl. Empfindungsstörungen

Ursachen:

Maßnahme:

  • Notärzt*in rufen

Akute, kurzfristige Gedächtnisstörung mit Verwirrtheit; Dauer maximal 1–24 Stunden; keine weiteren psychiatrischen oder körperlichen Beschwerden

Ursache:

  • Transiente globale Amnesie (plötzliche Gedächtnisstörung unbekannter Ursache, die spätestens nach 24 Stunden folgenlos abklingt), evtl. als Sonderform einer Migräne

Maßnahme:

  • Harmlos, trotzdem sofort zur Hausärzt*in, Neurolog*in oder in die Klinikambulanz, um andere Erkrankungen auszuschließen

Über Monate bis Jahre zunehmende Vergesslichkeit und Verwirrtheit; Verlangsamung, Umständlichkeit, Probleme beim abstrakten Denken; später Erinnerungslücken, Desorientierung

Ursache:

Chronische organische Psychose, z. B.

Maßnahme:

  • In den nächsten Wochen zur Hausärzt*in

Selbsthilfe:

Gedächtnistraining, z. B. durch

  • Gedächtnis- und Konzentrationsübungen
  • Teilnahme an Gesprächen, soziale Kontakte
  • Zeitung lesen

Zunehmende Vergesslichkeit im Alter bei normalem Denkvermögen

Ursachen:

  • Altersvergesslichkeit (altersassoziierte Gedächtnisstörung)
  • Frühsymptom einer Depression

Maßnahme:

  • In den nächsten Wochen zur Hausärzt*in, wenn die Vergesslichkeit deutlich zunimmt

Selbsthilfe:

Gedächtnistraining, z. B. durch

  • Gedächtnis- und Konzentrationsübungen
  • Teilnahme an Diskussionen, soziale Kontakte
  • Zeitung lesen

Konzentrationsstörung, verbunden mit Niedergeschlagenheit

Ursachen:

Maßnahme:

  • In den nächsten Tagen zur Psychotherapeut*in oder Hausärzt*in

Konzentrationsstörung mit euphorischer oder stark schwankender Stimmung und ständig wechselnden Ideen

Ursachen:

Maßnahme:

  • In den nächsten Tagen zur Psychotherapeut*in oder Hausärzt*in

Konzentrationsstörung mit extremer Ablenkbarkeit und Impulsivität bei Kindern; Neigung zu Wutausbrüchen und/oder Aggressivität; oft ausgeprägter Bewegungsdrang (Hyperaktivität, "Zappelphilipp")

Ursachen:

Maßnahme:

  • In den nächsten Wochen zur Kinder- bzw. Hausärzt*in

Selbsthilfe:

  • Geregelter Tagesablauf, ausreichend Schlaf
  • Feste und konsequente Regeln, viel Lob
  • Ruhige Umgebung
  • Ausreichend Bewegung

Störung der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit bei Alkohol- oder Drogenkonsum

Ursache:

  • Wirkung von Alkohol, Cannabis (Haschisch) und vielen harten Drogen

Maßnahme:

  • Bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit in den nächsten Wochen zur Hausärzt*in, Psychotherapeut*in oder zu einer Beratungsstelle

Störung der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit bei Medikamenteneinnahme

Ursache:

Wirkung/Nebenwirkung oder Entzug, z. B. von

Maßnahme:

  • Beim nächsten Besuch in der Arztpraxis ansprechen, wenn das Mittel ärztlich verordnet wurde und Sie unter den Beschwerden leiden

Selbsthilfe:

  • Verminderte Reaktionsfähigkeit beachten (z. B. im Verkehr)

Ihre Apotheke empfiehlt

Die grauen Zellen trainieren.

Nicht nur unsere Muskeln, auch unsere kognitiven Funktionen werden durch Übung stärker. Umgekehrt gilt: Wer sich geistig im Alltag nicht fordert, dessen Denk- und Erinnerungsvermögen lässt mit der Zeit nach. Sorgen Sie also dafür, dass Sie mit dem Rentenalter nicht auch in den geistigen Ruhestand eintreten.

Das Gehirn fordern.

Jeden Tag ein Kreuzworträtsel als Gehirnjogging? Expert*innen gehen davon aus, dass das nicht genügt, um geistig fit zu bleiben, weil solche Beschäftigungen oft in einer Art Automatismus ablaufen. Besser helfen komplexere Denkaufgaben wie das Erlernen eines Instruments oder einer neuen Sprache.

Neue Wege gehen.

Viele Menschen lieben ihre alltäglichen Routinen. Das Gehirn ist aber deutlich mehr gefordert, wenn es mit Ungewohntem konfrontiert wird. Da genügen schon Kleinigkeiten, etwa das Zähneputzen mit der ungeübten Hand oder ein anderer Weg zur Arbeit.

Bewegung hilft.

Untersuchungen zeigen: Wer sich zusätzlich zum Denksport körperlich in Bewegung setzt, profitiert. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass durch körperliche Betätigung das Gehirn besser durchblutet und mit mehr Nährstoffen versorgt wird. Auch beim Lernen hilft Bewegung, z. B. wenn man dabei umherläuft oder das Gelernte mit Gesten untermalt.

Kontakte pflegen.

Ein wichtiger Schutzfaktor vor Gedächtnisstörungen sind Kontakte mit anderen Menschen. Pflegen Sie also Ihre Beziehungen zu Familie und Freunden. Im Altenheim bieten sich Gruppenaktivitäten wie Karten- oder Singrunden an.

Früh anfangen.

Wenn der geistige Abbau bereits eingesetzt hat, lassen sich möglicherweise nicht alle Fähigkeiten wiederherstellen. Beginnen Sie deshalb rechtzeitig mit Aktivitäten, um das Gedächtnis zu erhalten.

Anzeichen für Demenz richtig deuten.

Jeder vergisst mal seine Schlüssel oder kann sich nicht mehr an einen Namen erinnern. Kritischer wird es, wenn solche Vorkommnisse häufiger werden und zusätzlich andere Fähigkeiten plötzlich verloren gehen. So sollten Orientierungsschwierigkeiten in der eigentlich vertrauten Umgebung und unerklärliche Stimmungsschwankungen an eine Demenz denken lassen. Klären Sie Ihren Verdacht im Zweifelsfall lieber mit einer Ärzt*in ab. Früh erkannt können Medikamente manchmal dabei helfen, das Fortschreiten einer Demenz etwas zu verlangsamen oder zumindest die Lebensqualität zu verbessern.

Auf ältere Menschen achtgeben.

Häufig unerkannt bleibt eine Demenz, weil sie mit einer Altersdepression verwechselt wird (aber auch andersherum!). Achten Sie deshalb auf ältere Menschen in Familie und Freundeskreis. Sprechen Sie bei einem Verdacht mit den Betroffenen und bieten Sie die Begleitung zu einer Ärzt*in an.

Autor*innen

Dr. med. Arne Schäffler; Dr. med. Brigitte Strasser-Vogel; in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Redaktionelle Bearbeitung: Sara Steer | zuletzt geändert am um 16:24 Uhr


Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel ist nach wissenschaftlichen Standards verfasst und von Mediziner*innen geprüft worden. Die in diesem Artikel kommunizierten Informationen können auf keinen Fall die professionelle Beratung in Ihrer Apotheke ersetzen. Der Inhalt kann und darf nicht verwendet werden, um selbständig Diagnosen zu stellen oder mit einer Therapie zu beginnen.